Kritik

Stimmen zur Dissertation

Prof. Kristiansen, Universität Kopenhagen
Prof. Herbert Lehnert, University of California, Irvine
Prof. Manfred Dierks, Universität Oldenburg
Dr. Erkme Joseph, Universität Marburg

Stimmen zum Roman Castorps Erbe

Listen. Die Zeitschrift für Bücher
Homöopathie. Zeitschrift des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte
Leser-Rezension bei amazon.de vom 26.11.2002
Dr. Erkme Joseph, Universität Marburg

Stimmen im Netz

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Stimmen zur Dissertation


Professor Kristiansen, Universität Kopenhagen

Ihr Buch gefällt mir außerordentlich gut - ich habe es in der Tat beinahe wie einen Krimi gelesen, so spannend war es für mich, nun auch zu sehen, wie Sie mit dem letzten Drittel des Romans fertig würden. Auch haben Sie einen verblüffenden Überblick über die Leitmotivstruktur, und jetzt muß ich meine eigene pessimistische Auslegung der "Sonnenleute" gründlich revidieren, denn hier wird, wie Sie nachgewiesen haben, die Synthese der neuen Humanität formuliert. Ich stimme Ihnen auch Ihrer Grundthese zu, daß Hans Castorp eine Ausnahmestellung einnimmt, die ihn von den ideologischen und lebensfeindlichen Fixierungen der anderen abhebt. In ihm ist in der Tat die neue Humanität Thomas Manns angelegt. Sie sehen, daß ich Ihnen sehr weit folgen kann, und ich bin auch davon überzeugt, daß niemand, der sich zukünftig mit dem "Zauberberg" beschäftigen wird, an Ihrem Buch vorbeikommen kann. Auch ist das Buch rein sprachlich und stilistisch einfach ein Genuß [...].

Aber einige Vorbehalte habe ich allerdings auch. So frage ich mich, ob es nun wirklich angeht, sämtliche Vorstellungsbereiche im Roman (Settembrini, Naphta, Joachim, Chauchat, Peeperkorn usw.) auf die Begrifflichkeit einer Todesdominanz eines absoluten Geistes zu bringen, der dann die nicht weiter definierbare Lebensoffenheit Hans Castorps entgegensteht. Sie erfassen damit zweifelsohne eine entscheidende Grundtendenz im Denken Thomas Manns, aber ist das nicht auch in Anbetracht der Vielfalt von Positionen und Meinungen im "Zauberberg" eine zu einseitige Betrachtungsweise? Auch glaube ich nicht, daß das "Blutmahl" einfach mit dem Tod gleichgesetzt werden kann. Es ist, finde ich nach wie vor, ein Bild, das den leidvollen Urgrund des Seins thematisiert, und wenn ich heute Thomas Mann auf eine Formel bringen sollte, würde ich ihn doch den ‚tragischen Humanisten' nennen, der von dem Leid und der Grausamkeit des Lebens ausgeht, sich aber davon nicht entmutigen läßt, sondern eben wegen der Tragik unaufhörlich für eine neue Humanität argumentiert - aber diese Auffassung widerspricht vielleicht nicht einmal Ihrer Interpretation. [...]

Aus einem Brief vom 16. Mai 2001, mit freundlicher Genehmigung von Professor Kristiansen, Universität Kopenhagen
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Professor Herbert Lehnert, University of California, Irvine

Ich habe Ihre Dissertation mit großem Interesse gelesen und mich besonders darüber gefreut, daß Sie Eva Wessels und mein Buch aufmerksam gelesen haben. Ihre Interpretation beruht zu einem großen Teil darauf, daß Sie Thomas Manns Bestreben, sich selbst von der Bindung an Ideologien freizuhalten, für das verbindende Glied zwischen den Betrachtungen eines Unpolitischen und dem Zauberberg und überhaupt für Thomas Manns Weltanschauung ansehen, eine Ansicht, die wir, Sie, Eva Wessell und ich gemeinsam haben. Es ist immer noch eine Minderheitsansicht, der Glaube an einen grundsätzlichen Wandel 1922 steht immer noch ganz fest. Jim Reed in seinem Buch Thomas Mann and the Tradition, das in der englischsprachigen Welt eine Autorität ist, hat diese Ansicht in der Neuauflage 1996 bestätigt. In einer Anmerkung mißversteht er Eva Wessells und mein Buch als Behauptung, daß Thomas Mann konservativ geblieben sei, sich gar nicht geändert hätte. Natürlich hat er seine politische Haltung geändert, natürlich hat er aufgehört, Ideologiefreiheit Konservativismus zu nennen, nur war seine Ideologiefreiheit nicht konservativ, weil Konservativismus selbst eine Ideologie ist, die als Reaktion auf die französische Revolution entstanden ist. Thomas Manns Gebrauch des Wortes "konservativ" in den Betrachtungen ist schlicht ein Fehler in der Terminologie, der darauf beruht, dass er glaubte, die Demokratie verlange aktive Propaganda des Schriftstellers für die liberale Weltanschauung.

Sie finden (S. 43), es sei uns "nicht gelungen", das "Gedankengut" der Essays "Von deutscher Republik" und "Goethe und Tolstoi" in den Roman zu 'implementieren'. Da stoßen wir methodisch zusammen. Ich glaube, daß Roman und Essay grundsätzlich verschiedene Aussageweisen sind. Sie können einander angenähert sein, insofern das Essay ein Spiel mit Begriffen, Bildern und Positionen sein kann. Aber die Stimme des Autors ist im Essay dennoch direkt vernehmbar, wenn sie nicht ausdrücklich ausge-schlossen wird. Der Roman dagegen ist vielstimmig, auch der Erzähler in seinen wechselbaren Rollen ist nicht mit dem Autor identisch, besonders nicht im Fall Thomas Manns. "Implementiert" ist die Ideologiefreiheit allerdings in den Roman, nur ist Hans Castorps Schneetraum keine Ideologie oder Ersatzreligion, nichts Positives, woran man sich halten könne. Und, um dies gleich vorwegzunehmen, ich kann nicht finden, dass Hans Castorps Verhalten gegenüber Peeperkorn demokratisch oder frei von gesellschaftlichen Hemmungen ist. Dem widerspricht der Text doch deutlich genug, was auch Sie nicht verkennen. Er ermordet ja Peeperkorn, was nicht ein Zeichen von großer Freiheit ist. Denn die Frage ist: warum hat der Autor diese Geschichte eingeflochten? Offensichtlich sagt die Stelle innerhalb der Romanstruktur, dass die Eifersuchtsgeschichte Peeperkorns Potenzschwäche und diese den Selbstmord auslösen.

Das bringt mich auf eine grundsätzliche Kritik, die ich bei aller Freude über unsere Übereinstimmung habe: es kommt nicht darauf an, was die Romanfiguren denken und tun, sondern darauf, was innerhalb der Romanstruktur damit gemeint ist. Sie benutzen das Wort "Leitmotiv" oder Ableitungen davon für das, was ich "Struktur" nenne. Struktur ist der Bedeutungs-Zusammenhang des Textes. Das Wort "Leitmotiv" ist meiner Ansicht nach belastet durch bloße mechanische wörtliche Wiederholungen.

Sie schreiben einmal (S. 64):"Settembrini verkennt aus noch zu bestimmenden Gründen die Situation..." Settembrini gehört strukturell zu Hans Castorp und nicht zu Joachim. Darum braucht meiner Ansicht nach nicht motiviert zu werden, warum er sich nicht um Ziemßen gekümmert hat, obwohl der doch schon länger da war. Ein wesentlicher Faktor der Bedeutungsstruktur ist, daß Hans Castorp den Deutschen repräsentiert, den deutschen Bildungsbürger mit Interesse für das Kreative. Hans Castorp wird zum Bildungsbürger dadurch, dass er aus der Ebene in die Höhe kommt, in Nietzsches Bergluft. Joachim ist ein Teil des deutschen Wesens, ein kranker Teil, während Hans Castorp nicht krank ist, nur aus dem Gewöhnlichen ausgegrenzt, quasi-krank.

Gut finde ich, dass Sie mehrfach auf Dualismus und Monismus hinweisen. Das ist eigentlich das Problem der Moderne, das sich durch Thomas Manns ganzes Werk zieht. Das Christentum, die Bibel ist dualistisch und die Aufklärung, die in Spannung zur biblischen Religion entstanden ist, setzt sich zum Teil diesem Dualismus entgegen, nimmt ihn aber auch an. Sie zeigen das an Settembrinis Argumenten, die ja immer gut und böse unterscheiden. Auch die Romantik ist da nicht eindeutig: deren Christlichkeit ist dualistisch und "rückgeneigt" wie Settembrini sagen würde, also dualistisch, während ihr Naturkult auf den Monismus vorausweist. Das Faszinierende an Thomas Manns Werk, das Sie sich des öfteren verdecken ist, daß er eben diese weltanschauliche Vieldeutigkeit der Moderne darstellt, die Ablösung von der biblischen Weltanschauung, die auch immer wieder zurückgenommen wird. Thomas Manns Fiktion beruht nicht eindeutig auf dem Monismus, obwohl Schopenhauers Metaphysik monistisch ist und Nietzsche auch als Schopenhauer-Kritiker Schopenhauer-Schüler bleibt. Nun schert Schopenhauer durch seine Übernahme der platonischen Ideenlehre aus dem Monismus wieder aus und Nietzsches Gebot, der Mensch oder Übermensch solle sich die Welt kreativ zueignen, hat eine idealistisch-dualistische Komponente.

Ich schätze sehr Ihre differenzierte Darstellung der Figuren, wie Sie das Inkonsequente an ihnen herausstellen. Zwar glaube ich nicht, daß Joachim seinen Tod will, aber strukturell ist seine Krankheit dem Tod zugeordnet: das Militärische ist eine Überform, die in unserer Moderne immer fremder wird. Das dürfte Thomas Mann in seiner kurzen Militärzeit direkt erfahren haben, und das gilt, obwohl er gelegentlich die militärische Form mit der Kunst-Form in Beziehung setzt (Im Krull z.B. ist das auch als fragwürdig zu interpretieren.

Konsequent ist jedoch auch der Schneetraum nicht. Es kommen ja nicht nur die Sonnenleute und Güte und Liebe, sondern auch kinderzerreißende Hexen vor, die noch dazu Niederdeutsch, die Sprache von Hans Castorps Heimat reden. Das soll unter die Haut gehen. Die Anerkennung der Selbstdestruktivität der deutschen Vorkriegskultur widersetzt sich der eindeutigen Vorbildlichkeit des Schneetraums, den Sie behaupten und verteidigen. Es kommt mir vor, als ob das manchmal gegen Ihr besseres Wissen geschieht.

Als Hauptmangel Ihrer Arbeit empfinde ich, daß Sie nicht sagen, was "der Tod" im Struktursystem des Textes bedeuten kann. Sie setzen das Wort immer, oder wenigstens oft, so ein, als sei es eindeutig. Im Tod hört die Zeit auf, Zeitlosigkeit ist dem Tod zugeordnet, aber Überzeitlichkeit ist auch im Kunststreben. Tod ist das ganz Außergewöhnliche, das Asoziale, auch die Kunst ist asozial und tot (in einem gelungenen Kunstwerk darf kein Teil geändert werden, es herrscht Todesstarre darin). Tod ist das unlebendig Vergangene, aber auch die orientierende Wirkung von Tradition und Mythos. Tod bedroht das Leben und die Kreativität; aber der Gedanke an den Tod erzeugt die Religion, die Philosophie, die Weltanschauung, auch die Kunst, die überdauern will, alles lebensnotwendige Orientierungen. Tod ist im Rituellen, aber das Rituelle ist auch eine Lebensstütze. Wie immer in Thomas Manns Werk spielt der Text mit der Vieldeutigkeit. [...]

Aus einem Brief von Professor Herbert Lehnert, University of California, Irvine, 30. August 1999. Mit freundlicher Genehmigung von Professor Lehnert
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Professor Manfred Dierks, Universität Oldenburg

Gloystein hat es im "Zauberberg" mit folgendem Problem zu tun: Der Roman verdankt sich in Konzeption und Entstehung der Anstrengung Manns, die Dominanz des "Todes" zu überwinden. "Tod" ist eine Metapher für viele Strebungen, die in unlebendiger Starre enden: Einseitigkeit, Dogmatismus, Orthodoxie, auch Homosexualität oder strikt rationale Aufklärung usw. Alles, was in dieser Richtung verläuft, hat im "Zauberberg" mit dem "Tod" zu tun, der in dieser umfangreichen Krankengeschichte natürlich auch öfter persönlich auftritt. Nun mündet der vielfache Agon der Meinungen (Settembrini, Naphta usf.) und der sonstwie vertretenen Positionen (Clawdia Chauchat, Peeperkorn usf.) in Castorps "Schneetraum". Hier träumt er sich zu jener berühmten, kursiv gedruckten Lösung durch: "Der Mensch soll um der Liebe und Güte willen dem Tode keine Herrschaft einräumen über seine Gedanken." Das bedeutet: Hans Castorp soll endlich die Widersprüche des Lebens - seine Ambivalenz - aushalten. Als "Herr der Gegensätze" könnte er dann endlich richtig leben.

Leider bekommt er das trotz aller guten Vorsätze nicht hin. Schon beim Abendessen vergißt er, was er geträumt und gedacht hat, und benimmt sich wie vorher. Entsprechend sieht die weit überwiegende Meinung der Forschungsliteratur zum "Zauberberg" ihn auch nach dem Schneetraum in einer Verfallsgeschichte stecken, dem "Tode" unterworfen. [...] Gegenteilige Ansichten stützen sich bisher auf diese oder jene Indizien dafür, daß der Roman nach dem "Schnee"-Kapitel stärker auf das Leben zuläuft - finden aber viel zuwenig Beweiskraft, als daß sie überzeugten.

Es handelt sich hier nicht nur um einen literaturwissenschaftlichen Meinungswettstreit über einen Text. Gloystein macht erstmals mit einer meist vernachlässigten Tatsache Ernst: Thomas Mann hatte den "Zauberberg"-Text beim Schreiben nicht derart in der Hand, daß er dessen Schicksal frei bestimmen konnte - daß Castorp hinter die bereits erreichte Problemlösung wieder zurückfällt, ist keine bewußte Schreibentscheidung. Es handelt sich beim "Zauberberg" vielmehr um einen hochkomplexen semantischen Prozeß, den Mann 1913 beginnt mit dem Ziel, Ambivalenz als Denk- und Stilprinzip zu bearbeiten. [...]

Diesen Textprozeß spürt Gloystein auf. Er geht genau in die Zone, in der sich die semantische Anstrengung Manns (zu einer Lösung des Gegensatzproblems) als hochgradige Assoziativität darstellt: in der Motivstruktur. Nicht in Dekreten wie der Schneetraum-Losung, sondern hier - bei hohem Anteil des Unbewußten und herabgesetzter Steuerungsmöglichkeit - geht der semantische Entscheidungsprozeß des "Zauberberg" vor sich. Und Gloystein gelingt es nun zu zeigen, daß er in dieser Schicht zum Erfolg geführt hat. Er findet heraus, daß Hans Castorp die zentrale Relais-Figur ist, in der Motivreihen zusammenlaufen, einen bedeutsamen neuen Weg einschlagen oder überhaupt erst erkennbar werden. [...]
Dann - hauptsächliche Leistung der Arbeit - erhält Hans Castorp neue Konturen. Das geschieht in zwei Analyseschritten durch die Themen- und Motivstruktur. Erstens wird die Peeperkorn-Episode - die durchweg als erratisch verstanden wird - überzeugend in den Romanzusammenhang eingeordnet: Hier bereitet sich die demokratische Wende Manns erkennbar vor. Zweitens gibt es innerhalb dieser Episode fünf Bestimmungsstücke ("Funktionsfelder") für Castorp, die ihn in ganz neuen Zusammenhängen erscheinen lassen. [...]

Es stellt sich heraus, daß selbst eine so lässige - "entgrenzte" - Gestalt wie Clawdia Chauchat mit allen anderen Beziehungsfiguren eines gemeinsam hat: Sie orientiert sich an einem Absoluten, also am "Tod". Nur Hans Castorp hat keine wie auch immer geartete dogmatisch absolute Orientierung und er steht über den einzelnen "Sendboten geistiger Bezirke". [...]

Gloystein hat mit dieser Arbeit eine argumentationsstarke Gegenposition zum Klassiker der "Zauberberg"-Forschung, Börge Kristiansens "Unform-Form-Überform", aufgebaut, der eine Folge des Schneetraums leugnet. Sie wird der "Zauberberg"-Forschung erheblichen neuen Auftrieb geben.

Professor Manfred Dierks, Universität Oldenburg, über die Dissertation im Jahr 2000. Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Professor Dierks.
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Dr. Erkme Joseph, Universität Marburg

Sehr erfreut bin ich, daß Sie den Zauberberg als im Ergebnis lebensfreundlichen Roman lesen, in dem der zentrale Schneetraum nicht nur vom Leser und Erzähler, sondern auch von Hans Castorp nicht vergessen wird.
Sie präsentieren eine vorwiegend werkimmanente Interpretation und stützen sich dabei vor allem auf die Analyse der Leitmotivstruktur. Dabei ist die Rede von Rezeptionshilfen und -hürden. Als Hilfe bedienen Sie sich dabei sehr richtig der Fähigkeit Hans Castorps, "additive Assoziationsketten" zu erzeugen, um so übergeordnete Zusammenhänge herstellen zu können. Die Hürden dagegen, wenn wir darunter die quantitative Erfassung von Leitmotivketten oder -komplexen verstehen wollen, scheinen Sie, wenn ich recht sehe, nicht konsequent anzugehen, obwohl das Problem mit Bulhofs "Wortindex zu Thomas Manns Der Zauberberg (1976)" doch so leicht sogar systematisch lösbar wäre.
Greifen wir nur als Beispiel den von Ihnen hervorgehobenen Begriff der "Ehre" heraus, wie er in Peeperkorns "Ehrenpuschel" und manch anderen Komposita enthalten ist. Der "Wortindex" zeigt uns schnell, daß darunter u.a. auch jene "Ehrerbietung" zu finden ist, die die in Hans Castorps Bildertraum im Schnee-Kapitel schlechthin für "Leben" stehenden Sonnenleute einander erweisen. Diese bildliche Darstellung leitet zum neuen Humanitätsbegriffs über. Mit jener negativ gewerteten Kategorie von "Ehre" im "gesellschaftlichen" Bezug aber, in der Sie Hans Castorps Antipoden vereinen wollen, ist das Bild der Sonnenkinder nicht in Einklang zu bringen.
Unvollständig erfaßt, sind also Leitmotivkomplexe ein "schwankender" Boden für eine Separierung von Figuren. Und damit wird folglich auch die unbedingte Ausnahmestellung und Isolierung Hans Castorps im Vergleich zu den anderen Figuren fraglich.
Aus der zentralen Aussage des Zauberberg im Gedankentraum des Schnee-Kapitels folgern Sie völlig zu Recht: "Ein übertriebener Dogmatismus bei der Umsetzung eines Prinzips führt zu einer Einengung der Perspektive und versperrt den Blick für das Wesentliche". Kann nicht auch bei der Interpretation eines Romans methodischer Dogmatismus die Fülle und den Reichtum des Kunstwerks allzu sehr strangulieren? Muß Hans Castorps unzweifelhafte Steigerung so "unbedingt" - um nicht zu sagen "absolut" - erfolgen, daß alle seine Begleitpersonen auf dem Zauberberg auf der gegenüber liegenden Seite stagnierend verzwergen?
Der Zauberberg lebt von widersprüchlichen Verhaltensweisen und Äußerungen, von unvereinbaren Gegensätzen. Aus ihnen baut sich die Spannung des Kunstwerks auf. Hans Castorps Entwicklung ist ein Prozeß der Bewußtwerdung der inneren und äußeren Probleme. Ein entsprechendes Spektrum, das von geistiger Starre bis zu relativer Öffnung und Offenheit reicht, kennzeichnet auch die Figuren rund um Hans Castorp. Sollen wir hier nun um Hans Castorps Ausnahmestellung willen, an der doch ohnehin kein Kenner des Werkes von Thomas Mann je zweifeln würde, eine so strikte, absolute, um nicht zu sagen: verkürzende Antithetik von korrekt und inkorrekt, letztlich von gut und böse aufstellen?
Wo etwa sollte das schöne Brückenbild aus Peeperkorns Abschiedsszene eingeordnet werden, in dem Hans Castorp, Settembrini und Ferge gemeinsam die Höhe der Schlucht ersteigen und "über der Rundung des Falles schwebend" zu den unten Zurückgebliebenen - also Peeperkorn und Clawdia Chauchat, Naphta und Wehsal - von der Brücke herunterwinken (GW III 861), wenn nur der Gegensatz "Hans Castorp gegen alle anderen" Gültigkeit hätte?
Hans Castorps Distanzierung von Clawdia Chauchat ist m. E. werkimmanent nicht zu fassen und zu erklären, sondern die Biographie des Autors muß zu Hilfe genommen werden. Auch hier muß der von Ihnen herausgestrichene "gesellschaftliche" Aspekt wohl doch anders eingeordnet werden und zu Clawdia Chauchats vielleicht nicht gar so verzerrten "Mähnschlichkeit" in Beziehung gesetzt werden.
Unumwunden beipflichten möchte ich Ihnen hinsichtlich der Zulässigkeit der Frage nach der aktuellen Relevanz des Zauberberg heute. Sehr wohl nachvollziehbar stützen Sie sich bei der Beantwortung dieser Frage u.a. auf Zygmunt Baumanns Untersuchung: "Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit", Frankfurt/Main 1995.

Aus einem Brief von Frau Dr. Erkme Joseph, Universität Marburg, vom 12.01.2003. Mit freundlicher Genehmigung von Frau Dr. Joseph.
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Stimmen zum Roman Castorps Erbe


Listen. Die Zeitschrift für Bücher

"Einen anderen Ansatz hat Christian Gloystein in Castorps Erbe. Bei ihm entwickelt sich die Geschichte auf den 11. September zu, er bildet das Finale. Marten Castorp ist der Enkel Hans Castorps aus Thomas Manns Zauberberg. Er praktiziert als Homöopath und interessiert sich für nichts als seine Arbeit. Katarina Lehte, eine Werbekauffrau, wird seine Patientin. Er kann sie heilen, sie verliebt sich in ihn und lässt nicht locker, bis auch er sich in sie verliebt hat (es könnte aber auch die Selbstaufgabe vor ihrer Penetranz sein). Katarina Lehte soll zu einer Schulung nach New York. Das erste Treffen der Seminarteilnehmer ist für den 11. September, acht Uhr im 107. Stock des World Trade Centers anberaumt. Gloysteins Romanskizze ist intelligent geschrieben. Der über den Zauberberg promovierte Autor schöpft aus reichem Fundus. Der Leser freut sich an der Entwicklung Marten Castorps, an Parallelen und Divergenzen zu Hans Castorp und an schönen Sätzen."

In: Listen. Die Zeitschrift für Bücher. Heft 66, 2002.
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Homöopathie. Zeitschrift des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte

"Im Mittelpunkt der Erzählung steht ein homöopathischer Arzt: Marten Castorp wird als Enkel des berühmten Hans Castorp aus Thomas Manns ‚Zauberberg' vorgestellt. In drei der sieben Kapitel steht die Homöopathie im Mittelpunkt des Geschehens - sehr eindrucksvoll und kenntnisreich wird hier unter anderem eine homöopathische Erstanamnese beschrieben. Castorp verliebt sich in seine Patientin, verlässt seine hermetisch abgeriegelte Welt und reist seiner Liebe nach New York nach. Sie ist unter den Opfern der Anschläge auf das World Trade Center vom 11. September - und hier führt uns der Autor den Homöopathen Castorp in seinem Nachdenken und Abwägen von Weltoffenheit oder weltabgewandtem Leben und die Krise der Vorstellung vom Leben als "großes Ineinandergreifen" vor Augen.

In: Homöopathie. Zeitschrift des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte. Heft Winter 2002.
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Leser-Rezension bei amazon.de vom 26.11.2002

Ein gelungener Roman, der Thomas Mann alle Ehre macht! Die Einbeziehung des 11. September 2001 erfolgt mit sehr viel Feinfühligkeit und Authentizität. Die Romanskizze liest sich trotz anspruchsvollem Inhalt sehr gut. Ich habe den Roman innerhalb von 2 Tagen verschlungen. Geschickt baut der Autor Anspielungen auf den Zauberberg ein. Sehr einfühlsam erlebe ich die Beschreibungen der jeweiligen Handlungsorte (Berlin, Hiddensee und New York). Nebenbei schafft es Christian Gloystein, dem Leser die Vorzüge der Homöopathie näher zu bringen.

Künstlerisch wertvoll finde ich das von Moritz Götze entworfene Titelbild.
Fazit: dieses Buch macht Appetit auf mehr und ist ausgesprochen lesenswert; für Thomas Mann Fans ist das Buch ein absolutes Muss!!

Leser-Rezension bei amazon.de vom 26.11.2002
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Dr. Erkme Joseph, Universität Marburg

Und da Sie Ihre Dissertation hinter sich gelassen haben, gelingt Ihnen dann losgelöst von den Fesseln akademischer Methodik und Prinzipienstrenge mühelos und völlig undogmatisch die Fortschreibung der zentralen Problematik von Ambivalenz und Eindeutigkeit, von Offenheit und Fixierung in Ihrer kleinen Romanskizze "Castorps Erbe. Der Homöopath" (Frankfurt/Main 2002) in unsere aktuelle Gegenwart. Mit "Humor und Sympathie" verarbeiten und verflechten Sie hier geschickt und in gut lesbarer Form alle zuvor in Ihrer Dissertation behandelten Themen und Motive - fast lückenlos kehren sie zum Vergnügen des Zauberbergkundigen Lesers auf verschiedenen Ebenen der Rezeption wieder: sei es, daß Ihre Protagonisten offen über Thomas Manns Roman diskutieren, sei es als imitatio der zugrundeliegenden Struktur im Großen wie im Kleinen oder aber als Wiederkehr einer Fülle von Motiven im neuen fiktiven Zusammenhang.

Aus einem Brief von Frau Dr. Erkme Joseph, Universität Marburg, vom 12.01.2003. Mit freundlicher Genehmigung von Frau Dr. Joseph.
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Stimmen im Netz


Hier werden im Internet verfügbare Rezensionen aufgeführt. Hinweise auf weitere Besprechungen und Kommentare werden gerne per mail entgegengenommen und hier entsprechend eingefügt.








Christian Gloystein
Mit mir aber ist es was anderes
Die Ausnahmestellung Hans Castorps
in Thomas Manns Roman "Der Zauberberg"

Erscheinungsdatum: 2001
broschiert
Königshausen & Neumann
ISBN: 3-82601-962-8
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Christian Gloystein
Castorps Erbe - Der Homöopath

Erscheinungsdatum: 2002
broschiert
Axel-Dielmann-Verlag
ISBN: 3-93397-429-1
Direkt bestellen bei amazon: